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Samidoun-Mitglieder schwenken große Fahnen, davor ein Polizist

Das bedeutet das Verbot von Hamas und Samidoun in NRW

Stand: 02.11.2023, 16:42 Uhr

In NRW stand die Organisation bislang noch nicht mal im Verfassungsschutzbericht. Jetzt hat Bundesinnenministerin Faeser die pro-palästinensische Vereinigung "Samidoun" in Deutschland verboten.

Von Niklas Schenk und Nina Magoley

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) schuf am Donnerstag gleich doppelt Fakten: Rund dreieinhalb Wochen nach dem Großangriff der Hamas auf Israel erließ sie ein Betätigungsverbot für die radikalislamische Palästinenserorganisation in Deutschland. Gleichzeitig ordnete sie die Auflösung der pro-palästinensischen Vereinigung Samidoun an.

Ihre Begründung: Hamas sei eine "Terrororganisation", die das Ziel verfolge, "den Staat Israel zu vernichten". Die Vereinigung Samidoun verbreite "als internationales Netzwerk unter dem Deckmantel einer 'Solidaritätsorganisation' für Gefangene in verschiedenen Ländern israel- und judenfeindliche Propaganda". Samidoun glorifiziere außerdem verschiedene ausländische Terrororganisationen, unter anderem die Hamas.

Süßigkeiten zur Feier des Hamas-Überfalls

Schon seit einigen Jahren ist Samidoun in Deutschland aktiv - und Experten auch bekannt. Für die breite Öffentlichkeit aber trat die Organisation erstmals nach dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober in Erscheinung: Bei spontanen pro-palästinensichen Jubelfeiern einen Tag darauf in Berlin verteilten Samidoun-Mitstreiter Süßigkeiten.

Samidoun in NRW bislang unter dem Radar

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach vor wenigen Wochen noch davon, dass Samidoun in NRW "keine festen Strukturen" habe. Deswegen würde das Netzwerk hier auch nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Reul weiter: "Gruppen, die hier keine Aktivitäten entfalten, die nicht auf der Straße sind, die keine Anschläge ausführen, die sind natürlich auch nicht so relevant."

Samidoun-Mitglieder schwenken große Fahnen

Samidoun-Demo in Köln am 15. April 2023

Dabei hatten sich noch im April Samidoun-Anhänger fahnenschwenkend zu einer Demo in Köln versammelt. Dass die Gruppierung seit Jahren in NRW aktiv ist und immer wieder Demonstrationen organisiert hat, zeigt schon ein Blick auf das Instagram-Profil der Organisation: Dort sind in einer eigenen Story alle NRW-Aktionen fein säuberlich dokumentiert.

Samidoun erzeugt ein Klima der Angst für Juden in NRW

Dem Verein Democ e.V. zufolge ist Samidoun mindestens seit 2018 in NRW aktiv, organisierte unter anderem 2021 eine später abgebrochene Pro-Palästina-Demo in Duisburg. "Die Aussage, dass Samidoun in NRW keine festen Strukturen hat, ist irreführend", sagt Democ-Vorstandsmitglied  Linus Kebba Pook. "Ja, hinter Samidoun steckt kein eingetragener Verein. Richtig ist aber, dass Samidoun ein Netzwerk vieler Personen ist, eher eine Kaderstruktur, die hier immer zu Events mobilisieren".

Samidoun erzeuge mit den Demonstrationen "ein Klima der Angst für Juden und Jüdinnen in NRW. Sie können sich nicht mehr sicher fühlen, wenn auf den Straßen der Terror der Hamas glorifiziert wird", sagt Pook. Laut Jörg Rensmann von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus in NRW (RIAS), wolle Samidoun mit Demonstrationen und Plakaten neue Anhänger gewinnen. Die Organisation setze sich mit Gewalt und Terror dafür ein, Israel durch einen palästinensischen Staat zu ersetzen.

Reul hatte Zweifel bei einem Verbot

Schon vor einigen Wochen hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag ein Verbot der Hamas und Samidouns in Deutschland versprochen. NRW-Innenminister Reul dagegen hatte ein Verbot Samidouns da noch angezweifelt. "Wenn heute alle wissen, dass die verboten werden sollen, warum haben sie das in letzten Monaten nicht gemacht?" Er sei "unsicher über die neue Situation. Aber wenn die Beweise da sind, dann bitte verbieten, kein Einwand!"

Demonstranten tragen palästinensische Fahnen

Pro-palästinensische Demo in Duisburg-Hochfeld am 09.10.2023

Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) hatte ein Verbot gefordert, zuletzt in einer aktuellen Stunde im Landtag vergangene Woche. Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat nun Fakten geschaffen - offenbar sind genug Beweise da.

Nun beeilt man sich auch im NRW-Innenministerium um eine aktualisierte Position: "Die Polizeibehörden in Nordrhein-Westfalen wurden informiert und veranlasst, konsequent gegen Verstöße vorzugehen", sagte ein Sprecher des NRW-Innenministeriums auf WDR-Anfrage am Donnerstag.

Doch Aktivitäten von Samidoun in NRW

Denn offenbar hat man auch hier nun "im Zuge der aktuellen Lage" doch Aktivitäten von Samidoun bei Versammlungen in NRW festgestellt. Bereits im Frühjahr dieses Jahres habe es Kundgebungen und Demonstrationen gegeben, "für die auch Samidoun mobilisiert und diese in Kooperation mit anderen Organisationen oder Vereinen zum Teil durchgeführt hat", räumte der Sprecher ein. Bei pro-palästinensischen Demonstrationen sei es zu israelfeindlichen, antisemitischen Sprechchören und Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen.

Auch hat man jetzt offenbar festgestellt, dass schon die Anmeldungen zu den Demos auffällig waren: Dabei sei es "thematisch nicht nur um Freiheit für 'politische Gefangene', sondern auch um die 'Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer'" gegangen. Das palästinensische Staatsgebiet solle "also das Gebiet zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer und damit das Hoheitsgebiet des Staates Israel umfassen". Außerdem lade Samidoun regelmäßig zu Diskussionsrunden ein, die online oder in Präsenz durchgeführt werden.

Die neue Erkenntnis beim Innenministerium: "Damit agiert Samidoun nach Einschätzung des NRW-Verfassungsschutzes gegen den Gedanken der Völkerverständigung und untergräbt das grundliegende Anliegen der Bundesrepublik Deutschland, die Sicherheit des Staates Israel und seiner Bürger sowie des jüdischen Lebens zu gewährleisten."

Welche Konsequenzen hat das Samidoun-Verbot?

Während die Bundesregierung für die als ausländische Organisation operierende Hamas jetzt lediglich ein "Betätigungsverbot" in Deutschland erlassen konnte, gilt für Samidoun ein "Organisationsverbot". Das heißt, dass sämtliche Aktivitäten der Organisation und die Verwendung ihrer Kennzeichen verboten und damit strafbar sind. Eventuell vorhandenes Vermögen wird eingezogen, Internetauftritte und Aktivitäten in sozialen Medien werden verboten.

Hamas war de facto bereits verboten

Das nun angekündigte Betätigungsverbot für die Terrormiliz Hamas wird auch Konsequenzen in NRW haben. Zwar hat die palästinensische Organisation nach Informationen des Verfassungsschutzes "keine offizielle Repräsentanz" in Deutschland, dafür aber Unterstützergruppen, auch in NRW. Das bestätigt der Landesverfassungsschutz. Deutschland sei ein "Rückzugsraum" der Hamas, heißt es dort.

Da die Hamas von der EU und den USA schon seit Jahren als Terrororganisation eingestuft wird, war sie de facto auch in Deutschland schon verboten. Das Betätigungsverbot macht es für die Behörden aber einfacher, Maßnahmen gegen die islamistische Gruppierung durchzusetzen - etwa bei Versammlungen von Sympathisanten einzuschreiten. Die Flagge und Symbole der Hamas dürfen seit einer Gesetzesänderung 2021 in Deutschland nicht mehr gezeigt werden.

Soziale Organisationen als Tarnung

Teilweise ist die Arbeit der Hamas-Unterstützer laut Verfassungsschutz über soziale Hilfswerke oder religiöse und karitative Organisationen getarnt. Einige solcher Organisationen waren in Deutschland bereits verboten worden, etwa der "Al-Aqsa e.V." in Aachen. Als wichtigste Organisation für die Anhänger der Hamas in Deutschland galt laut NRW-Verfassungsschutzbericht bislang die Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (PGD).

In Nordrhein-Westfalen habe die PGD im Jahr 2022 nur wenige öffentlichkeitswirksame Aktivitäten entfaltet, so der Verfassungsschutzbericht. Auch der in Dortmund gemeldete Spendenverein "Die Barmherzigen Hände" hätte Bezüge zur Hamas. Er soll nach Angaben des Verfassungsschutzes "über ausgeprägte personelle Verbindungen" zur PGD verfügen.

Die deutsch-israelische Gesellschaft setzte sich schon lange für ein Verbot Samidouns ein. Und für die jüdische Gemeinde ist das Verbot nun ein wichtiges Zeichen: Dafür, "dass es nicht nur leere Worte sind, sondern hier auch etwas für uns getan wird", sagt der Rabbiner David Geballe von der jüdischen Gemeinde Duisburg/Mülheim/Oberhausen. "Und als Zeichen für diejenigen, die hier in Deutschland Hamas-Befürworter sind: Ihr habt hier nicht einfaches Spiel."

Über dieses Thema berichtet der WDR am 2.11.2023 auch im WDR Fernsehen in der Aktuellen Stunde ab 18.45 Uhr.