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Termin in der Ausländerbehörde zu verkaufen

Aktuelle Stunde 08.05.2024 14:21 Min. UT Verfügbar bis 08.05.2026 WDR Von Bamdad Esmaili

Für die Einbürgerung: Termine zum Verkauf für 250 Euro in Bochum

Stand: 08.05.2024, 06:00 Uhr

Wer in Bochum die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen möchte, muss persönlich bei der Stadt vorsprechen. Die Termine dafür sind knapp und die Wartezeiten dementsprechend lang. Offenbar nutzen Profiteure diese hohe Nachfrage aus. Einem Team von WDRforyou ist es gelungen, einen dieser begehrten Termine für 250 Euro zu kaufen.

Von Katharina Köll und Srdjan Govedarica

Der Weg zum Termin führt über den Kurznachrichtendienst Telegram. Es ist überraschend unkompliziert: nach kurzer Suche in Telegramgruppen zum Thema Einbürgerung bietet uns eine arabisch sprechende Frau an, den Kontakt zu einem Terminverkäufer herzustellen. Sie fragt nach der Anzahl der Personen und nach Namen und meldet sich nach zwei Tagen: Der Termin stehe bereit. Wir müssten vorher eine weitere Person treffen, der wir die vereinbarte Summe übergeben – 250 Euro.

Terminbestätigung für das Büro für Einbürgerungen in Bochum

Terminbestätigung für das Büro für Einbürgerungen in Bochum

Unser Lockvogel trifft sich eine Woche später in einer Wohnung im Ruhrgebiet mit einem Mann, der sich als "Mittelsmann" ausgibt. Der Mann nimmt die 250 Euro entgegen und wenige Sekunden später erhalten wir per E-Mail eine offizielle Terminbestätigung der Stadt Bochum weitergeleitet. Terminbestätigung für die darauffolgende Woche. Der Mann versichert uns, dass wir jederzeit weitere Termine gegen Bezahlung vereinbaren könnten.

Terminverkauf – ein offenes Geheimnis?

Dass Termine zum Verkauf angeboten werden, scheint in Bochum kein Geheimnis zu sein. Das bestätigt auch Lora Al-Omar. Die Syrerin lebt seit 2015 in Bochum und beantragt gerade die deutsche Staatsbürgerschaft: "Ich habe Screenshots gesehen, dass Menschen das tun. Das sollte man nicht machen, weil sonst gibt es noch weniger Termine auf dem Markt. Ich kann verstehen, dass Menschen es auch aus dringenden Gründen brauchen, aber ich finde es nicht korrekt.“ Auch Lora Al-Omar hatte Schwierigkeiten, einen Termin für ihre Einbürgerung zu bekommen. Die Termine werden auf der Webseite des Einbürgerungsbüros immer wieder in Kontingenten freigegeben und sind meist nach wenigen Minuten ausgebucht.

Al-Omar sagt, dass sie es monatelang erfolglos versucht habe und erst im November des vergangenen Jahres einen der seltenen Termine ergattern konnte. Nach einer Demonstration gegen die Terminknappheit vor dem Bochumer Rathaus im vergangenen Jahr habe sich die Situation zwar etwas gebessert – berichtet die junge Frau – doch die Nachfrage nach Einbürgerungsterminen ist weiterhin sehr hoch.

Lora Al-Omar im WDR Interview

Lora Al-Omar im WDR-Interview

Am Tag unseres gekauften Termins gehen wir zur Einbürgerungsbehörde im Bochumer Rathaus. Kommen wir damit wirklich ins Gebäude? Es klappt tatsächlich. Und nicht nur das: Der Termin ist im System verzeichnet, unser Lockvogel darf bei einer Sachbearbeiterin vorsprechen. Worauf viele monatelang warten, ist uns in gerade mal 14 Tagen gelungen – für 250 Euro.

Behörde bemüht sich um Aufklärung

Wie kann das sein? Wir fragen beim Einbürgerungsbüro der Stadt Bochum nach. "Ja, wir haben davon gehört“, sagt der Leiter des Einbürgerungsbüros, Marvin-Alexander Dupke, im Interview mit WDRforyou. Daraufhin habe man im vergangenen Jahr zusammen mit dem Dienstleister für das Terminvergabesystem daran gearbeitet, das Problem zu beheben und die Sicherheitsmaßnahmen verschärft. So könne man z.B. inzwischen pro E-Mail-Adresse nur noch einen Termin bekommen, um zu vermeiden, dass Termine massenhaft gebucht und verkauft werden.

Dass es immer noch möglich ist, Termine recht unkompliziert zu kaufen, scheint Marvin-Alexander Dupke zu überraschen. Wie die Termine in Umlauf geraten konnten, kann er sich auch nicht erklären: "Wir haben unser gesamtes System überprüft, aber wir sind nicht schlau daraus geworden.“

Jetzt sucht die Behörde nach der "undichten Stelle“. Das könnte theoretisch jemand von außen sein, der Termine "legal“ bucht und dann weiterverkauft, oder sogar jemand, der bei der Stadt Bochum arbeitet und Zugriff auf das Terminvergabesystem hat.

Hohe Zahl von Antragsstellern erwartet

Ein heikles Thema für die Stadt Bochum, denn der Bedarf an Terminen wird absehbar steigen. Die Stadt rechnet grundsätzlich mit etwa 40.000 potenziellen Antragsstellern. Das hängt auch mit dem neuen Einbürgerungsgesetz zusammen, das am 27. Juni in Kraft treten wird. Damit kommen alleine in Bochum Zehntausende dazu, die sich nun einbürgern lassen können, z.B. Menschen, die nach den neuen Regel eine doppelte Staatsbürgerschaft beantragen dürfen.

Die Stadt Bochum hat die Zahl der Mitarbeiter, die sich mit Einbürgerungen beschäftigen, inzwischen von fünf auf 25 erhöht. Das Nadelöhr bleibt jedoch die Terminvergabe – nur mit viel Glück gelingt es Antragstellern, einen Termin auf legale Weise zu bekommen. Ein Motor für den Schwarzmarkt.

Ein Ausweg soll dieses Jahr noch umgesetzt werden: Die Stadt arbeitet daran, dass Einbürgerungsanträge online eingereicht werden können, ohne dass die Antragsteller persönlich einen Termin buchen müssen.

Unsere Quellen:

  • Recherche WDRforyou
  • Gespräche mit der Stadt Bochum

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 08.05.2024 auch im Hörfunk: WDR 5 Morgenecho ab 6 Uhr.